Die Liebe im Geheimen

Ein Neon-Herz im Dunkeln

Vor fast 15 Jahren waren wir ein Liebespaar. Meine erste große Liebe. Meine einzige Liebe. So habe ich es mir immer eingeredet. Und so war es dann auch. Weil niemand den Vergleich mit dir standhalten konnte.

Ich erinnere mich an den Tag an dem Du mir gesagt hast, dass du ohne mich in eine fremde Stadt ziehen wirst. Es war ein grauer Regentag im September. Der 3. September um 17:15 Uhr. Du meintest, dass du ungebunden ein neues Kapitel in deinem Leben eröffnen willst. In Schockstarre habe ich das hingenommen, aber nie richtig verstanden. Ich weiß ganz genau, dass du mich in diesem Moment noch geliebt hast. Ich konnte es fühlen. 

Ein Jahr später, bei einem Besuch bei dir in dieser fremden, wunderschönen und grausamen Stadt, habe ich gefühlt, dass du mich mittlerweile nicht mehr liebst. Ich habe versucht mich tapfer zu halten, aber nach kurzer Zeit kamen die vergangenen 365 Tage ohne dich zum Ausbruch. 20 Stunden durchgeweint. Selbst im Schlaf auf der Matratze neben dir. Danach erstmal Kontaktabbruch. Und trotzdem konnte ich dich nicht vergessen. 

Zwei Jahre ohne dich und nur sehr sporadischem Kontakt. Ein Auf und ein Ab. Ich versuche dir vorzugaukeln, dass ich über dich weg bin, damit du dich nicht so schuldig fühlst und du weiterhin mit mir sprichst. Versuche meine Gefühle zu verstecken, um dir nahe, zumindest aber näher, zu sein. 

Ein ganzes Jahr klappt das ganz gut und dann platzt es an unserem „3. Jahrestag“, aus mir heraus. 1.095 Tage ohne dich. Ich gestehe Dir unbeholfen meine Liebe. Du reagierst mit einem Kontaktabbruch. 

Das Folgejahr verbringe ich damit, einen Ersatz für dich zu finden. Ich vögele mir das Hirn raus und ab und zu finde ich jemanden, den ich mag und mit dem ich mir mehr vorstellen kann. Einmal versuche ich sowas wie eine Beziehung. 8 Monate kann ich den Anschein bewahren. Dann ist der 3. September und ich kann nicht mehr. Ich mache Schluss. 1.460 Tage. 

Meine Freunde fangen sich an zu wundern, wenn ich mit leuchtenden Augen von dir erzähle und finden es ganz süß, dass ich nach all der Zeit immer noch nicht über dich hinweg bin. Sie erzählen mir, wie toll sie dich fanden und raten mir im Satz darauf, es weiterhin mit anderen zu versuchen. Ja, du warst toll. Du bist toll. Nach 5 Jahren bist du für mich immer noch so lebendig. Dabei habe ich mittlerweile vergessen, wie du riechst. Und wenn ich nicht ab und zu gemeinsame Videos von uns anschauen würde, hätte ich vermutlich auch bereits vergessen, wie du klingst. Und so vergeht ein weiteres Jahr. Ein zweiter Beziehungsversuch mit einem zweiten Ersatz. Diesmal halte ich nur 6 Monate durch, bevor ich Schluss mache. Natürlich kurz nach dem 3. September. 

Im sechsten Jahr habe ich mir sehr lange Zeit eingeredet, dass ich über dich weg bin. Ich hätte es fast geglaubt. Ich denke nicht mehr viel nach über dich, und trotzdem gibt es Tage, an denen ich ganz plötzlich an dich denke und dann auf einmal tagelang nichts mehr geht. Manchmal rechtfertigte ich damit bestimmte Situationen im Job, in denen ich überfordert bin. Das Gefühl was ich habe, wenn ich um dich trauere ist mittlerweile zu etwas heimeligen geworden. Ich weiß was mich erwartet und kann es meistens steuern. Nur eins kann ich nicht steuern: Die Intensität die mich erfasst, wenn ich an unsere gemeinsame Zeit denke. Und ich muss nicht auf den Kalender schauen, denn ich weiß, dass heute ein spezieller Tag aus meiner Vergangenheit ist, der 2.190 Tage zurückliegt. 

Mittlerweile ist mein Nachtrauern für andere nicht mehr süß und ich höre öfter, dass vielleicht eine Therapie sinnvoll wäre. Ich schwanke zwischen „Ich schaffe das ohne ihn“ und „Ich kann nicht ohne ihn!“. Und so kommt es, dass ich wieder Kontakt zu dir suche und dir versichere, dass ich glücklich vergeben bin. Nur um von dir zu erfahren, dass du nach mir immer noch keinen neuen Freund hattest, du aber gerade einem Schwarm in Brasilien hinterher reist.  Das schmerzt gleich zweierlei: Einerseits eine aufkeimende, klitzekleine Hoffnung und auf der anderen Seite ein riesiger Bagger, der diese aufkeimende Hoffnung zertrampelt, umpflügt und das Tal der Hoffnung mit Beton zugießt. Beton, der langsam trocknet und in dem ich hoffnunsloser Trottel kleine Herzen reinritze. 

Ein halbes Jahr vergeht so und wir stehen weiterhin  in Kontakt, mehr von mir ausgehend, was ich auch spüre. Aus deinem brasilianischen Schwarm wird nichts, und mittlerweile in Berlin wohnend berichten mir Freunde andauernd von meinem wundervollen Exfreund. Ein letztes Mal kann ich mich zusammenreißen nichts von meiner Liebe dir gegenüber zu erwähnen und am Ende schaffe ich es doch nicht. Kontaktabbruch. Zum letzten Mal. Das schwöre ich mir.

Und einige Jahre klappt das auch. Zum 8.jährigen Jahrestag werde ich wieder wehmütig. Ebenso zum 9. und 10 jährigen. Mittlerweile kann ich mit meinen Freunden nicht mehr über dich sprechen wie ich es gerne würde. Sie können das Thema nicht mehr hören und ich habe das Gefühl, mich lächerlich zu machen, wenn ich es anspreche. Und so liebe ich dich im Geheimen. Er ist nun kein Thema mehr für Gespräche unter Freunden und nur manchmal spreche ich das Thema überhaupt noch an. Das Thema ist mir sogar ein bisschen peinlich. Einerseits weil es nicht normal ist, so lange um jemanden zu trauern und zum anderen macht es mich kleiner als ich bin. Abgesehen davon, dass ich unsere Beziehung überhöhe und die gemeinsame Zeit so durchweg positiv in Erinnerung habe. Dabei war nicht immer alles gut. Du warst viel zu ernst und ich zu kindisch in deinen Augen. Und dennoch glaube ich, meine einzige Liebe im Leben bereits gehabt zu haben.

Ich flüchte mich in Arbeit und Affären, damit ich nicht regelmäßig über dich nachdenken muss.

Im elften Jahr melde ich mich aus einem Affekt heraus zu deinem Geburtstag. Du antwortest überraschend freundlich. Ich wage mich aber nicht weiter zu fragen, da ich dich auch nicht belästigen will. 

Im zwölften Jahr schreibe ich dir wieder zum Geburtstag. Diesmal antwortest du nicht mehr. Auch im Folgejahr nicht. Ich fühle mich wie ein Stalker und ich beschließe dich fortan nicht mehr zu belästigen, was ich bis zu diesem Tage auch nicht mehr tat. Aber dennoch ertappe ich mich dabei dich in regelmäßigen Abständen zu googeln oder alte gemeinsame Fotos anzuschauen. 

Im dreizehnten Jahr nach unserer Trennung war ich im September mit einer Freundin in Valencia bei deinem alten Mitbewohner aus Erasmus-Zeiten. Es ist der zweite Abend des Urlaubs und wir sitzen zusammen in einem Restaurant und essen in geselliger Runde Tapas. Es ist zufällig der 4. September und ich freue mich insgeheim, dass ich unseren „Jahrestag“ vergessen habe, weshalb ich auf dich zu sprechen komme. Emilio erzählt ein wenig von dir und offenbart mir in einem Nebensatz, dass du mittlerweile verheiratet bist mit einem reichen Argentinier. Das trifft mich so unverhofft und heftig, dass ich mich höflich auf die Toilette zurückziehe und 30 min aus voller Kraft mit schweren Krokodilstränen weine. Immer abwechselnd, aufgrund der Skurrilität halb lachend und halb weinend wie am Abend der Trennung. Als sei mir der Schmerz gerade erst zugefügt worden. Und ich erlebe ihn wirklich erneut. Nicht zum ersten Mal. Vielleicht weil jetzt Gewissheit wird, was ich eigentlich bereits seit 4.745 und einem Tag weiß: Du liebst mich nicht mehr. 

Das ist nun zwei Jahre her und ich habe vergangenes Jubiläum ausgessen und auch sonst nicht sonderlich viel über dich nachgedacht. Und nun stecke ich in einem Dilemma: Soll ich dich aufgeben oder die hin und wieder nachts im Bett aufkeimende Hoffnung am Leben erhalten? Vielleicht bist du ja nicht mehr mit deinem Mann zusammen? Vielleicht ist da noch Hoffnung. Im gleichen Moment realisiere ich, wie lächerlich und kindisch meine Gedanken klingen. Und dass ich davon niemandem erzählen kann. Die Liebe im Geheimen.